Der Achipelago de Colon mit seinen "Verwunschenen Inseln" (spanisch: Las Islas Encantadas) ist bei uns unter dem Namen "Galapagos Archipel" bekannt und wurde von Charles Darwin ursprünglich einmal tatsächlich als "Garten der Hölle" bezeichnet. Ein Reiseführer schreibt "Wer auch immer sich entschließt, die Galapagos Inseln zu besuchen, sollte in dem Bewusstsein dorthin reisen, etwas absolut Einmaliges zu erfahren". Dies kann ich nun bestätigen, denn vom 31.8. bis 17.9.2000 war ich dort als Teilnehmer einer privat organisierten Tauchkreuzfahrt. Und, um es gleich am Anfang zu sagen: Diese Reise war das tiefgehendste, beeindruckendste, phantastischste Natur- und Taucherlebnis meines Lebens. Dies einmal wegen der einmaligen Kombination aus Abgeschiedenheit, Unzugänglichkeit, der jungen Geologie, und des einzigartigen "biologischen Laboratoriums der Evolution", das sowohl über, wie unter Wasser eine Vielzahl endemischer Tier- und Pflanzenarten bietet. Viele der angetroffenen Fischarten kommen Einem irgendwie bekannt vor, sehen aber doch etwas anders, als gewohnt aus, weil in der Galapagos Region spezifische Anpassungen stattfanden. Zum anderen aber auch wegen der zum Teil grotesken Unwirklichkeit der Szenerie beim Tauchen, die oft aus Lavafeldern zwischen Vulkankegeln besteht, von denen man den Eindruck hat, sie seien erst vor ein paar Monaten erstarrt.
Zuerst: Einige Anmerkungen zur Organisaton der Reise Wir hatten bei einem kleinen equadorianischen Unternehmen aus Quito einen Zwanzig-Meter-Katamaran der mittleren Luxusklasse mit fünf Einheimischen als Besatzung gechartert, wobei alle notwendigen Vereinbarungen und Absprachen per Email (www.latintours.com) getroffen wurden. Der Kat lag bei unserer Ankunft in Baltra auf den Galapagos Inseln schon vor Ort, auch mit den notwendigen tauchtechnischen Einrichtungen ausgestattet. Der Flug von Frankfurt nach Bogota (Kolumbien) hatte elf Stunden gedauert. Von Bogota geht es dann noch 1.5 Sunden nach Quito in Equador. Hier übernachteten wir und fuhren am folgenden Tag mit dem Auto -nach einer kurzen Besichtigung der wirklich sehenswerten Altstadt- vom 2800 m hoch in den Anden liegenden Quito in die Küstenebene nach Guayaquil. Diese Fahrt dauerte sechs Stunden und führte auf zunächst abenteuerlichen Wegen durch die Anden herunter in das tropische, landwirtschaftliche Zentrum des Landes. Vorbei an riesigen Plantagen, wo Bananen, Kaffee, Kakao, Mango, Papaya, Reis, Mais, Zuckerrohr und Passionsfrucht angebaut werden, sowie eine Anzahl mir vollkommen unbekannter Früchte, mit deren vom Fahrer genannten Namen ich auch nichts anfangen konnte. Beindruckend die Reichhaltigkeit der Pflanzen, deren Üppigkeit, die Grösse der als "Hacienda" bezeichneten und beschilderten Grossgrund-Plantagen und der gleichzeitige Kontrast zur unbeschreiblichen Armut der dort arbeitenden Bevölkerung. Man kann natürlich bequem über all dies hinweg direkt von Quito zu der Dreimillionenstadt Guayaquil fliegen, aber wir wollten doch die Gelegenheit nutzen, uns diesem Szenario ein wenig auszusetzen. Solche "Erfahrungen", die man sich im Wortsinne "er-fährt", sind immer eine Gelegenheit zur kritischen Rückbesinnung auf unsere eigenen Verhältnisse zu Hause. Nach Übernachtung in Guayaquil flogen wir dann zusammen mit unserem Tauch- und Naturreiseführer, ohne den man sich in Galapagos nicht aufhalten darf, zu der Flughafeninsel Santa Cruz des Galapagos Archipels. Der Katamaran mit Namen "Freedom" hatte fünf Besatzungsmitglieder, die einen Querschnitt durch die equadorianische Bevölkerung boten. Der Kapitän war deutlich indianischen Ursprungs, andere gingen klar auf spanische Wurzeln zurück, und der Pangero war eine Mischung aus Spanisch und Schwarzafrikanisch, wie man sie in der Karibik oft findet. Zusammen mit dem Tauch- und Landreiseführer waren wir drei Taucher. Ein Ausruhen nach der langen Reise gab es nicht, denn es wurden sofort die Segel gesetzt für die 144 (GPS) Seemeilen lange Fahrt über den Äquator nach Norden zu den Inseln Wolf (Wenman) und Darwin (Culpepper). Da das nun mitten im Pazifik ist, wo sieben verschiedene großräumige Meeresströmungen aufeinander treffen, ist die See entsprechend chaotisch. Aber die Aussicht auf die Vulkankegel der Inseln, an denen man vorbeifährt und die Schulen von sicherlich über 500 Delphinen, die oft vorbeikommen, halten Einen trotz des starken Windes und der rauhen See lange an Deck. In der Koje liegend konnte ich durch mein Fenster nach oben den Mast in den Himmel ragen sehen. Nachts dann den Mond, oder mittags die Sonne, senkrecht über dem Schiff und direkt über dem Mast stehen zu sehen ist für den 50 Grad Nordhemisphäriker ein reichlich ungewöhnlicher Anblick. Um 4:00 früh trafen wir bei Wolf ein, der Anker wurde geworfen; und um 6:30 waren wir bereits das erste Mal unter Wasser.
Diejenigen, die noch die 1962 erschienene Geschichte von "Jim Knopf und die Wilde 13" von Michael Ende kennen, erinnern sich vielleicht, dass es dort eine sehr lebhafte Beschreibung des Insel-Verstecks der Piraten der "Wilden 13" gibt. Dieses Versteck ist in der Geschichte als "Insel die nicht sein darf" bezeichnet. Und GENAU SO muss man sich die Inseln Wolf (Wenman) und Darwin (Culpepper) vorstellen. Etwa 200 m hohe Klippen aus schwarzem vulkanischen Basalt -zum Teil in den charakteristischen hexagonalen Säulen erstarrt- mit vielen Höhlen, Löchern, und Lavatunneln. An der Wasserlinie hat das Meer grosse Ausspülungen hervorgebracht, überall liegen riesige schwarze Felsen im Wasser. Das Betreten der Inseln ist vollkommen unmöglich, ausser vielleicht per Hubschrauber. Die Lärmkulisse durch die zahllosen Fregattvögel, Tölpel u.a. ist ohrenbetäubend und auch wenn Kompressor und Generator gleichzeitig laufen nicht zu überhören. Obwohl man direkt am Äquator ist, ist es kaum über 25 Grad warm, es geht ein recht frischer Wind und der Himmel ist komplett mit tiefliegenden Stratocumuluswolken bedeckt, so dass es insgesamt unerwartet dunkel ist. Die Wellen sind ein bis zwei Meter hoch. Mit anderen Worten, es ist ziemlich ungemütlich, und die Beleuchtung der schwarzen Insel unter den manchmal leicht regnenden Wolken ist regelrecht gespenstisch. Die Vorstellung, dass man da jetzt tauchen gehen soll, bereitet erst einmal gewisse Schwierigkeiten.
Die Lage stellt sich nun so dar: Die Freedom liegt in einer "geschützten" Ecke der Insel. Man muss über drei Meter Höhenunterschied in das Schlauchboot (spanisch: Panga) bei einem Seegang von etwa ein bis zwei Metern klettern, bis auf Flasche und Flossen bereits vollständig ausgerüstet und mit 7 mm (also 14 mm) Anzug bekleidet. Der Einstieg ins Panga muss unter diesen Umständen schon vorsichtig aber schnell passieren, damit man nicht ins Wasser oder im Panga auf die Flaschen fällt. Danach zehn bis zwanzig Minuten Fahrt zu den Felsen durch eine jetzt gut zwei Meter hohe Dünung mit ca. 30 Meter Wellenlänge. Angekommen bei einem Felsenbogen, der etwa die Form und Grösse des Triumphbogens von Kaiser Hadrian in Rom hat; "Rangierfahren" bis direkt in die Brandungszone. "Leichte Besorgnis", dass man nicht samt Panga auf die Felsen geworfen wird. Unser Pangafahrer, der "Pangero", erweist sich schon hier als echter Künstler. In einer "strömungsberuhigten" Zone schnellstmögliches Anlegen der Flaschen und Flossen. Dann Vorfahren "ins Weisse", also direkt dahin wo sich die Wellen an den Felsen brechen und Suchen des Absprungsortes in den fast Zweimeterwellen. Für mich jedesmal schwer verständlich, wie es für ein Boot überhaupt möglich ist unter diesen Umständen so nah an die Felsen zu fahren. Ich mache mir keinerlei Illusionen über die Strömungssituation unter Wasser. Auf Kommando plötzlich nach hinten ins Wasser fallen, das als "kochende See" und Blasenschaum auf Einen zukommt. Kopfunter eingetaucht ergeben sich nun zwei Alternativen: Entweder in 30 Sekunden auf 12 - 14 Meter Tiefe durchgefallen und am Boden sein, oder gnadenlos abgeschwemmt und von der Gruppe getrennt zu werden. Da der Absprung maximal 20 Meter von den vertikalen Felsen passiert, frage ich mich, wie lange es im zweiten Fall dauert, bis man auf die Felsen in der Brandungszone gespült wird. Wehe, wenn noch Luft in der Tarierweste ist, oder man zuwenig Blei hat. Ich tauche mit 14 Kilogramm und würde mehr mitnehmen, wenn zusätzliche Bleistücke auf den Gürtel passten. Wehe wenn der Druckausgleich nicht jedesmal sofort reibungslos funktioniert; absolut nichts für "Weichohren". Einmal lief mir die Maske voll und ich war sofort in richtigen Schwierigkeiten; konnte mich nur durch wildestes Flossenschlagen unter Aufbietung aller Kräfte vor dem Fortgetrieben werden bewahren. Nach 30 Sekunden am Boden "aufgetroffen" sofortiges Zuschnappen und Festhalten, irgendwo, egal wie, egal wo. Auch das ist nicht ohne, denn einmal ist das Lavagestein mit seinem Überwuchs aus Seepocken äusserst unangenehm scharfkantig, und es scheint Nester von beeindruckend grossen Skorpionsfischen oder Steinfischen zu geben. Keine Handschuhe bedeutet keine Chance. Einigermassen gesichert kann man sich endlich nach den Tauchkameraden umschauen und seine Ausrüstung kurz überprüfen. Weit vom Körper weghängende Konsolen, Finimeter, oder Oktopusse sind vollkommen indiskutabel, das Mitbringen von grösseren Lampen, Kameras oder ähnlichem wird wahrscheinlich teuer. Als nächstes gilt es festzustellen, ob man es unter Wasser mit einer konstanten, unidirektionalen Strömung zu tun hat, oder mit periodischem Auf- und Abversatz durch die Dünung. Im ersten Fall ist ein Dagegenschwimmen vollkommen sinnlos. Wir haben das probiert und innerhalb von 15 Minuten erfolgreich die Flaschen auf Fünfzig gebracht. Im zweiten Fall ist Fortbewegung nur durch Festhalten und Abwarten der günstigen Halbwelle der Dünung möglich. Dann Loslassen, eine Halbwelle treiben lassen, Festhalten, wieder Loslassen und so weiter; eher wie beim Bergsteigen, also eine Art "Alpines Tauchen", ohne Seilsicherung. Meistens ist man mit einer Mischung aus beidem konfrontiert. Grundsätzlich ist also jeder Tauchgang bei Galapagos ein "drift dive". Wenn nun alles in Ordnung ist, dann einen Moment ausruhen und zu Atem kommen. JETZT, und erst nach alldem, ist der Zeitpunkt erreicht, bei dem der eigentliche Tauchgang beginnt. Man kann ja gleich einmal versuchen, die in Sichtweite befindlichen, leicht bis vier Meter grossen Hammerhaie zu zählen. Richtiges Zählen stellt sich sofort als unmöglich heraus, denn es müssen hunderte sein. Der gesamte Bereich der Sichtweite in alle Richtungen und manchmal bis zur Oberfläche: Ausgefüllt mit Hammerhaien; es ist nicht zu fassen. Da man als Taucher sich häufig am Boden liegend fortbewegt, sieht man oft Gruppen von (zählbar) bis zu dreissig "hammerheads" wie eine Front direkt auf sich zukommen und auf Armlänge über und neben Einem vorüberschwimmen, ein phantastischer, aber auch gewöhnungsbedürftiger Anblick. Von der Unterwasserlandschaft her, soweit man sie vor dem Hintergrund aus Fischen überhaupt wahrnehmen kann, stellt man es sich am Besten so vor, als hätte man die schwarzen Basaltteile im Süden Lanzarotes zuerst vertikal gestellt, dann alles einfach unter Wasser gesetzt, und mit Seepocken, Schwämmen, Algen, und an manchen Orten auch Weich- und Hartkorallen überwachsen. Wegen der verschiedenen hier zusammenkommenden Meeresströmungen liegen die Wassertemperaturen zwischen 16 und 25 Grad und manchmal geht man durch wahre Wechselbäder, die sich aber durch extreme Schlierenbildung ankündigen. Die Sichtweiten sind wegen des enormen Planktongehalts selten über 20 Meter, und oft nur um die 10 Meter. Aber gerade deswegen ist der Fischreichtum besonders an Grossfischen so phänomenal. Ich zähle und schätze, dass pro Kubikmeter etwa 5 Fische sind und zwar homogen verteilt soweit die Sicht in alle Richtungen reicht. Meist sind dies Creole oder Damselfish. Dazu kommen dann Schwärme von Makrelen, die von der Sichtweitengrenze nach unten bis an die Wasseroberfläche reichen und sich wie ein rotierender, massiver Zylinder drehen. Ein Taucher, der in einen solchen Schwarm hineinschwimmt wird sofort vollkommen unsichtbar, wie hinter einem Vorhang verschwunden. Die etwa alle 10 Tauchmeter vokommenden Muränen sind etwa so gross wie ein kleinerer Taucher und zeigen insofern pathologisches Verhalten, als dass sie fast nie in Höhlen anzutreffen sind, sondern wie zum Sonnen ausgestreckt offen über den Felsen ausgestreckt liegen. Es gibt braune und graue Muränen, sowie die seltenen Zebramuränen. Wenn man sie am hinteren Ende vorsichtig zupft, schauen sie Einen eher verwundert, als ärgerlich an und kümmern sich ansonsten herzlich wenig um solche Störungen. Die Stachelrochen, Marblerays und Mantas, die man häufig sieht kann man von der Grösse her auch nur in Quadratmetern messen. Häufig kommen neugierige Delphine oder Seelöwen vorbeigetaucht, um sich recht genau und von Nahem anzuschauen, was man so treibt. Riesige Schildkröten verschiedener Arten sind bei jedem Tauchgang anzutreffen. Ich bin bei unseren 34 Galapagos Tauchgängen eigentlich überhaupt nie aus dem Staunen herausgekommen. Dann plötzlich heftiges Gestikulieren und Rasselgeräusch von Seiten des Diveguides. Ich schaue in die angegebene Richtung, sehe zuerst nur trübes Blaugrau, bekomme dann aber einen ordentlichen Schreck. Denn aus dem Dunklen taucht urplötzlich ein riesiges Etwas auf, das anhand der weissen Punkte als Walhai zu identifizieren ist. Dieser hier hat gut 14 Meter Länge, wie man durch Vergleich mit dem an der Oberfläche schwimmenden Panga recht gut schätzen kann. Weil er an den Tauchpartnern vorbeischwimmt kann man sehen, dass seine Schwanzflosse deutlich grösser als die Taucher ist. Wir hatten insgesamt 42 Begegnungen mit Walhaien, manchmal fünf während eines einzelnen Tauchgangs. Die kleinsten waren etwa zwei "Bootslängen", also ca. 8 Meter. Die Begegnungen können ein Sichten gerade so an der Sichtweitengrenze sein, aber auch bis einige Minuten auf Einmeterabstand dauern. Gelegentlich kann man sich an die Rückenflosse anhängen und ziehen lassen, was ihnen nichts auszumachen scheint. Aber ich wurde vor der Schwanzflosse gewarnt. Wenn man einem Walhai hinterherschwimmt, muss man gut bei Kondition sein. Selbst wenn der Hai seine Flosse quasi garnicht bewegt strampelt der Taucher aber "propeller-mässig" hinterher. Einmal schwammen zwei Walhaie gleichzeitig auf uns zu und ausweichend an uns drei Tauchern vorbei. Ich ziehe einen Handschuh aus, um einen Eindruck der Rauhigkeit der Haut zu bekommen. Befund: glatt wie Papier. Aus verschiedenen Büchern war mir bekannt, dass solche grossen Fische (wie auch Wale) hinter ihren Schwanzflossen für den Taucher gefährliche Turbulenzen erzeugen können, was ja auch verständlich zu sein scheint, denn das Antreiben einer mehrere Tonnen schweren Masse bedingt ja auch das rückwärtige Beschleunigen einer grossen Masse an Wasser. "Experimentell" kann ich dies allerdings überhaupt nicht bestätigen. Denn einmal, als wir an einem Walhai hingen, der plötzlich schneller schwamm und uns mit "ohrenbetäubender Geschwindigkeit" auf 25 Meter herabzog, geriet ich nach dem Loslassen direkt hinter die Schwanzflosse, die dann mit bestimmt 4 Meter Amplitude auf Armlänge vor mir hin und herschlug. Von der erzeugten Strömung habe ich nicht das Geringste gemerkt. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich mich später oft bewusst in die Zone hinter den Schwanzflossen fallen lassen und die Flosse mit den Fingern angefasst, von der enormen bewegten Masse aber nie etwas gespürt. Verstehe bis heute nicht, wie das geht. Wenn man einem Walhai begegnet entfernt man sich natürlich sofort von der senkrechten Riffwand die bei dem ganzen Tauchgang bisher die Bezugs-und Orientierungsfläche war. Und man wird ebenso natürlich sofort von der Überlagerung aus Strömung und Dünung mitgerissen. Wenn der Walhai dann ausser Sicht ist, treibt man typischerweise weit im offenen Meer, allerdings nicht alleine, denn jetzt kommen die Hammerhaie wirklich nahe ran. Man ist "umströmt" von ihnen, etwa so, wie wenn man in eine U-Bahnstation heruntergeht und alle aussteigenden Leute der gerade haltenden U-Bahn Einem entgegen die Treppe heraufkommen. Im Prinzip weichen sie alle aus, kommen aber -wie gesagt- sehr nahe. Nur, dass die Hammerhaie auch über und unter Einem schwimmen. Man kann sie sich genau anschauen und bemerkt häufig grosse weisse Flecken auf ihrer Haut, die auf parasitären Pilzbefall zurückgehen. Die Hammerhaie sind für den Taucher nicht gefährlich. Die bis zu vier Meter langen Fische haben ein unerwartet kleines Maul und ernähren sich von dem überall gleichförmig vorhandenen "Hintergrund" aus Fischen. Manchmal sieht man, wie einer eine plötzliche, blitzschnelle, seitliche Bewegung mit dem Hammer macht, ohne dass der Körper die Bewegungsrichtung oder Flossenschlagfrequenz ändert. Der kleine Fisch, der da eben noch schwamm ist dann weg. Wenn sich einzelne Hammerhaie in merkwürdigen schraubenden Bewegungen an Einem vorbei bewegen, haben die einen grösseren Fisch gefangen und versuchen gerade den runterzubekommen.
Einmal von den Blasen aus den Lungenautomaten am Bauch getroffen schiesst der Hai davon, fast ohne Bewegung, aber mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Trotz der geringen Gefahr, die von den Hammerhaien für den Taucher ausgeht, ist es schon sehr gewöhnungsbedürftig, ständig von diesen riesigen Tieren umgeben zu sein. Vorsicht allerdings ist angesagt vor den auch häufig ankommenden Galapagoshaien. Die sind deutlich kleiner, als die Hammerhaie, aber überhaupt nicht ängstlich. Sie fallen in einem Hammerhaischwarm zunächst kaum auf. Der eine oder andere umkreist die Taucher dann aber ab und zu für längere Zeit, wobei er immer näher kommt. So ab zwei Meter Distanz von dem Einen intensiv musternden Auge fühlt man sich dann nicht mehr so wohl. Sie sind zwar nicht richtig aggressiv, scheinen sich ihrer "Optionen" aber durchaus bewusst zu sein. Deswegen geht man auch selten in grössere Höhlen rein, denn dort befinden sich oft einzelne Galapagoshaie, oder ganze Gruppen schlafender Weissspitzenhaie. Denen möchte man dann doch nicht im Weg stehen, wenn die plötzlich erschreckt aufwachen.
Inzwischen hat einen die Strömung bis sonstwohin getragen und man weiss eigentlich gar nicht mehr so genau, wo man ist, so dass man dann auftaucht. Dies allerdings immer mit laut piependem Tauchcomputer. Das Einhalten der vorgeschriebenen Aufstiegsgeschwindigkeiten ist bei diesen Strömungsverhältnissen völlig illusorisch und ebenso wenig möglich, wie das Einlegen von Sicherheitsdekostopps bei drei Meter. Beim notwendigerweise schnellen Auftauchen vermutet man das Panga irgendwo am Horizont, aber unser Pangero hat selbst unter schwierigsten Bedingungen immer das Kunststück fertig gebracht, den Blasen folgend bei uns zu bleiben. Wie er das gemacht hat bei der chaotischen See, den vielen Strömungen und der Nähe zur Brandungszone, ist mir schleierhaft. Nur ein einziges Mal hat er uns verloren. Aber da sind wir gemeinerweise zwischen zwei Inselchen, die nur etwa 30 m entfernt voneinander aus dem Wasser ragten, durchgetaucht, wo er uns unmögich durch die Brandungen folgen konnte.
Nach dem nicht einfachen Wiedereinstieg ins Boot, bei dem uns auch schon Bleigurte verlorengingen, geht es zurück zur Freedom. Schweigend sitzen wir da, nach innen schauend und reflektierend über das Erlebte.
An einem ruhigeren und sogar sonnigen Tag nehme ich das an Bord vorhandene "Sit-on-top" Kajak und fahre um einen Teil von Darwin herum. Es ergibt sich so die Gelegenheit in einige der Brandungshöhlen vorsichtig hereinzufahren und die völlig zutraulichen Vögel, die direkt obendrüber in der schwarzen, erstarrten Lava nisten, zu besichtigen. Das Kajak ist hervorragend geeignet, schnell aus der Sicht- und Hörweite des Schiffs herauszukommen. Und plötzlich reduziert sich die wahrgenommene Welt nur noch auf Wasser, Wellen, Brandung, Basalt, die Sonne direkt über dem Kopf und die Vögel; ein nicht beschreibbares Naturerlebnis. Von der Empfindung konnte ich es nur entfernt vergleichen mit der Wanderung, die uns seinerzeit in einem arbeitsfreien Moment während einer Arktisexpedition über die Eisschollen zwischen Spitzbergen und Grönland zwei Meilen von dem Eisbrecher weg in eine Welt bestehend aus nichts ausser Wind, Sonne und Eis führte. Leider wurde ich recht unsanft aus meinen Träumereien geweckt, denn ich war unversehens in eine Gruppe Seelöwenweibchen hineingetrieben, die das knallgelbe Kajak aufgeregt und neugierig inspizierten. Einem nicht zu verachtenden Bullen mißfiel dieses Verhalten seines Harems und er stürzte sich nach heftigem Bellen von seinem Felsen ins Wasser. Ich war recht erstaunt, wie stark man mit einem Kajak im Rückwärtsgang beschleunigen und welch hohe Geschwindigkeiten man dabei erreichen kann, wenn es denn sein muß.
Bei der Insel Santa Cruz gibt es ausgedehnte Mangrovensümpfe, die man mit Booten ohne Aussenbordmotor besuchen darf. Wir paddelten also unser Panga dorthin, denn hier befindet sich die Kinderstube der Haie, Schildkröten und Rochen. Und tatsächlich sieht man 50 cm kleine Haie in dem trüben Wasser dicht an der Oberfläche herumschwimmen, oder Gruppen von DIN A-3 großen Rochen. Manche springen hoch in die Luft, was wohl der Reinigung von Parasiten dient. Zum ersten Mal während der ganzen Reise war man auch von wahrnehmbaren Mengen fliegender Insekten umgeben. Die Mangrovensümpfe bestehen aus drei verschiedenen Mangrovenarten, von denen eine, die sogenannte "Rote Mangrove", dunkelrote Luftwurzeln direkt von etwa 3 Meter hohen Ästen ins Wasser zieht. An den unter Wasser befindlichen Wurzelteilen siedeln Muscheln und Seepocken. Der osmotischen Austrocknung durch das Meerwasser entgehen die Mangroven, indem sie in ihrem Zellgewebe eine Salzkonzentration haben, die die des Meeres übertrifft. Überschüssiges Salz wird entweder durch spezielle Drüsen an der Oberfläche der Blätter ausgeschieden, oder indem Blätter mit Salz aufgefüllt und dann abgeworfen werden.
Meistens haben wir jeden Tag vier Tauchgänge durchgeführt, den ersten bereits vor dem Frühstück. Man taucht selten tiefer als 18 Meter, weil das Leben sich oberhalb abspielt. Da die Sonne am Äquator pünktlich 6:00 Uhr auf und um 18:00 untergeht hat man die Tauchgänge bis 15:00 hinter sich gebracht. Dies auch deswegen, weil die Trübung des Meeres durch den Tageswanderungszyklus des Planktons im Laufe des Tages immer mehr zunimmt und nachmittags die schlechtesten Sichtverhältnisse herrschen. Abends im Dunkeln wird das Plankton durch die vielen konfusen Strömungen agitiert und zur Chemolumineszenz angeregt. Das sieht dann so aus, als gäbe es grünliche Polarlichter im Meer, die sich über mehrere hundert Meter um das Schiff herum erstrecken können. Es bleibt nachmittags also Zeit für kleinere Landgänge, die man sich auf Galapagos auch nicht auslassen sollte. Zuerst besuchten wir die Insel "North Seymour", wo ein abgesteckter Weg die Besucher über ein gehobenes Lavaplateau führt. Die Vegetation enthält zum Teil über 10 Meter hohen Galapagos-Balsambäumen, dessen Holz weihrauchähnlich riecht. Weiterhin besteht die Vegetation aus Parkinsonien, Galapagos-Feigenkakteen, Salzbüschen und Octogona Sträuchern. Neben Blaufußtölpeln und den Prachtfregattvögeln, die zur Balzzeit diese aufgeblähten roten Ballons an den Hälsen tragen findet man Lavaeidechsen, Landleguane und die berühmten Meeresleguane. Letztere werden bis zu 75 Jahre alt und können im Notfall 200 Meter tief tauchen. Die Vögel sind sehr zutraulich und man kann an ihre Nester bis auf Schrittweite herangehen, ohne daß sie sich gestört fühlen. Blaufußtölpelfamilien können so bei ihren Nestern in allen Stadien der Brutaufzucht beobachtet werden. Die gelb-braunen Landleguane, die bis zu einem Meter groß werden können, laufen überall herum und häufig findet man sie paarweise voreinander stehend sich gegenseitig heftig und mit schneller Frequenz an-nickend. Thema dieser "Nick-Sessions" ist die territoriale Verteidigung. Sie ernähren sich von grünen, saftigen Galapagos-Sesuvien. Die Meeresleguane sind beim Tauchen nur äußerst selten beobachtbar, weil sie im Bewuchs direkt in der Brandungszone zwischen den Felsen grasen. Dorthin kommt man als Taucher nun beim besten Willen nicht. An einer Stelle der Insel gibt es Seelöwen, die ihre Babies säugen. Der zweite Landgang führte auf die Insel "Plaza-Sur". Hier (und auf der Insel Malpelo bei Kolumbien) nisten die einzigen nachtaktiven Gabelschwanzmöven der Welt auf den schwarzen Lavafelsen. Überall fliegen verschiedene Arten der etwa faustgroßen Darwin-Finken herum. Auf den Felsen in der Brandung finden sich viele feuerrote Krabben.
Den Tag vor dem Rückflug verbrachten wir auf der größten der Galapagos Inseln: Santa Cruz. Die Höhenlagen der Insel sind mit dschungelartiger Vegetation und Scalesienwäldern bedeckt und hier findet man die namengebenden Galapagos-Riesenschildkröten, von denen es verschiedene Arten gibt. Die fressen nicht das für die Rinderzucht eingeführte Elefantengras, sondern ausschliesslich endemische Grasarten und einzelne Exemplare können 350 kg auf die Waage bringen. Nach einer Wanderung zu Zwillingskratern von mehreren hundert Metern Durchmesser, die durch große, aus der noch nicht festen Lava entweichende Gasblasen entstanden sind, fuhren wir noch zu dem Touristenort Puerto Ayora, in dem auch die Darwin Station zu finden ist, in der es eine Schildkrötenaufzuchtfarm gibt. Am nächsten Tag fuhren wir dann nach Baltra zurück und traten die Heimreise an, bei der wir auch wieder eine Nacht in Quito verbrachten.
Diese unglaubliche Reise auf die Galapagosinseln; für mich höchstwahrscheinlich der taucherische Höhepunkt. Und besonders für Jemanden, der ein aufregendes berufliches Leben mit den Naturwissenschaften verbringen darf, die Erfüllung eines Traums. Sicherlich wird die Reise noch für lange Zeit ihren Widerhall finden.
Stephan Bormann